[zu: „Wenn Populisten gegen Populismus sind“ von Roland Preuß, SZ, 3.11.2011, S. 4]
In dem Kommentar wird berichtet, der türkische Premier habe die deutsche Politik für Menschenrechtsverletzungen bei einwanderungswilligen „Türken“[1] kritisiert, ebenso wie einen Mangel an Integrationsmöglichkeiten für eben jene. Der Kommentator hält diese Kritik für geheuchelt. Das ist auch kein Wunder: Wenn es um einen Vergleich mit anderen Staaten geht, sind Nationalisten schnell dabei, „die Probleme“ vor allem oder nur im Ausland zu entdecken. Das macht auch Roland Preuß, wenn er die Heuchelei aufzudecken scheint, mit der der türkische Ministerpräsident auf die deutsche Innenpolitik reagiert. Eine Heuchelei sei das deswegen, weil man ja genau wisse, dass die Türkei „Expertin“ auf diesem Gebiet sei. Das zeige sich schon am Umgang mit ihren hauseigenen Kurden. Und nicht zuletzt daran, dass die türkische Regierung Türken selbst dann noch als solche sehe und sich damit für sie zuständig erkläre, wenn sie gar keine Türken, sondern nunmehr eingebürgerte Deutsche seien. Was den SZ-Redakteur besonders ärgern mag, wo doch mit der erleichterten Einbürgerungsmöglichkeit vor allem für die „Migranten“ in zweiter Generation seit gut zehn Jahren eine liberale Schneise in das durchs Blutrecht geprägte deutsche Staatsbürgerschaftsrecht geschlagen wurde.
An diesem Kommentar zeigt sich gleich mehrfach, dass Roland Preuß, der im Einklang mit den meisten seiner Kollegen bestens identifiziert ist mit seinem eigenen Land, durchaus Rassismus kritisieren kann – und zwar am liebsten im Ausland. Denn weder wird in dem Kommentar ein Urteil darüber gefällt, ob denn nun Rassismus und andere Grausamkeiten tatsächlich in Deutschland vorkommen. Ganz so, als wäre das gar nicht Punkt. Und ja, Erdogan setzt das durchaus als Einmischungstitel ein und will sich mit dem Statement vor allem national profilieren als einer, der sich als türkischer Ministerpräsident auch die starken Staaten vorknöpft – soweit seziert das die SZ noch richtig. Nur: Diese Motivation macht das Urteil über die deutschen Zustände nicht unbedingt falsch.
Erdogans Sicht auf die Auslands“türken“ mag eine etwas weite Auslegung der türkischen Zuständigkeit sein, wenn es sich tatsächlich auch um Nicht-mehr-Staatsbürger der Türkei handeln sollte. Aber für die SZ ist der Skandal, dass er mit diesen und anderen Leuten außerhalb der Türkei Machtpolitik betreibt. Und verweist auf jene Türken in der EU, denen bei solcherlei Aktionen gar nicht wohl ist. Kein Wort dazu, dass der häufigste Grund, warum der Staat auf Tuchfühlung mit seinen Bürgern oder auch mit Ausländern geht, Machtpolitik ist – und zwar nicht nur in der Türkei, sondern überall und also auch in Deutschland.
Zum krönenden Abschluss wird Erdogan vorgeworfen, er selbst unterminiere mit seinen Vorwürfen genau die Integration, die er einfordert. Schließlich hülfe doch der von ihm angeprangerte Sprachtest z.B. für Angehörige bei der Familienzusammenführung v.a. den Frauen, damit diese ihren Männern nicht so hilflos ausgeliefert wären. Was gut und gerne ein Nebeneffekt sein kann – Zweck dieser Restriktion in der Zuwanderung ist aber die Nützlichkeit der Leute, wenn sie in Deutschland ankommen. Weder ökonomisch noch politisch sind sie ordentlich zu gebrauchen, wenn sie sich nicht verständigen können.
Und damit wäre man beim wirklichen Zweck der Integration, was im Kommentar als freundliches Entgegenkommen für die armen Einwanderer verhandelt wird. Stattdessen wird die Unterordnung unter politische und kulturelle Standards verlangt – in einer guten Mischung aus kalkulierter Nützlichkeit und dem gepflegten Rassismus, der stets in dem Gewand auftritt, es läge schließlich im Interesse der Migranten selbst. „Wenn Populisten gegen Populismus sind“ zeigt vor allem was passiert, wenn Nationalisten gegen Rassismus sind: Sie finden letzteren besonders gerne im Ausland.
– Anna Luehse –
[1] Da sich unter der Einteilung von Menschen in Nationenangehörige viele etwas Falsches vorstellen, nämlich dass sich darin Eigenschaften von Menschen zeigen, statt der schlichten und brutalen Einteilung von Menschen durch Staaten in seine Angehörigen, werden sie hier stets in Anführungsstriche gesetzt.